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1.000 Tage große Koalition

60 Minuten Kritik aus der Opposition

Von Franziska Sylla (fs)

Berlin, 13.08.2008. An sich fand die Bilanz der Oppositionsfraktionen ein wenig zu früh statt. 1.000 Tage sind noch nicht vorbei, aber wie klingt die Bilanz 997 Tage schwarz-rote Koalition? Das hört sich irgendwie uneinheitlich an. Uneinheitlich sind die Interessen der Bundestagsfraktionen zwar bei den politischen Programmen, besonders bei den Oppositionsfraktionen in Hinsicht zur Regierungskoalition. Gemäß der Bundestagsgeschäftsordnung fanden die Oppositionsfraktionen zur 1.000 Tage Bilanz doch „Gemeinsamkeiten, die wir Ihnen heute hier zeigen wollen“, begann der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Jörg van Essen, die Bundespressekonferenz in Berlin.

Jörg van Essen zog eine „schlimme Zwischenbilanz. Der Aufschwung schwindet, die Wirtschaftskraft sinkt, es zeichnen sich weitere Preiserhöhungen“ bei den Energiekonzernen ab. „Wir fordern (als FDP-Fraktion sowie als Opposition, Anmerkung die Redaktion) die Energiepreise zu senken“ und dass die Regierung das „letzte Regierungsjahr nicht nur Wahlkampf betreibe für das Wahljahr 2009, sondern das für die Menschen notwendige“ tue, so der FDP-Bundestagsabgeordnete. „Ein ganz wichtiger Sieg“ ist für van Essen die Klage „über die AWAKS-Flugzeuge, die sicherstellt, dass die Auslandseinsätze sorgfältig überlegt getroffen werden.“ Beharrlichkeit beim Vertreten der eigenen, klaren Oppositionspositionen wie beim Thema Online-Durchsuchung sowie der Vorratsdatenspeicherung, „sorgen dafür, das die Rechtsstaatlichkeit gewährt bleibt“, so van Essen. Des weiteren haben die Oppositionsfraktionen Untersuchungsausschüsse einberufen, „damit die Bundesregierung auf unsere offenen Oppositionsinteressen eingehen kann.“ Die große Koalition könne jederzeit von der Bundesparlamentarischen Geschäftsordnung abweichen, sagte der FDP-Abgeordnete. Außerdem lobte van Essen Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), mit ihm „haben wir als Opposition zum ersten Mal einen Bundestagspräsidenten, der sich als Präsident aller Abgeordneten versteht, das ist positiv anzusprechen im Gegenzug zum Vorgänger“, dem jetzigen SPD-Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse.

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Partei Die Linke im Bundestag, Dagmar Enkelmann, zählte zur Bilanz der 1.000 Tage Koalition, die Rechnungen „nach Adam Steinbrück“ auf, der „für eine vierköpfige Familie 10.000 Euro pro Jahr“ als Grundsicherung veranschlage, wenn es sich um eine Bedarfsgemeinschaft nach Hartz IV handele. Dagmar Enkelmann forderte die Rückkehr zur Pendlerpauschale, „es gibt 400.000 Pendler, davon 200.000 in den neuen Bundesländern“, für die bedeute die Abschaffung des Steuervorteils Pendlerpauschale, einen erheblichen Einschnitt bei den Einkünften. Sie kritisierte, dass die CSU-Partei die Pendlerpauschale wieder haben wolle, die Regierungsschwesterpartei „CDU hat ja sehr stark daran mitgewirkt, sie abzuschaffen.“ Positives fand die Diplom-Geschichtslehrerin, die mit Unterbrechung seit 1990 im Bundestag arbeitet, bei den Kindergelderhöhungen, das habe auch die Familienministerin Ursula von der Leyen anerkannt. Leider blockiere hier der SPD-Partner „die gut gemachten CDU-Vorschläge“. Kritisch sah Enkelmann, die ihre Karriere 1977 bei der Partei Die Linke begann, die Regierungsarbeit insgesamt: „Die angekündigten großen Reformen haben sich als Rohrkrepierer herauskristallisiert. Die Linke sieht das alles als eine Enttäuschung von Hoffnungen.“

Die Rente ab 67 gehe an der Lage der Arbeitnehmer vorbei, „die Steuerpolitik entlastet nur die großen Unternehmen, es blieb der verbale Aktionismus. Die Angst vor dem sozialen Abstieg hat die Mittelschicht erreicht: 7,5 Millionen Beschäftigte sind vom Niedriglohn betroffen und die Bundesregierung sitzt das Problem der steigenden Armut aus“, resümierte die Parlamentarische Geschäftsführerin von Die Linke. Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) habe zugegeben, so Dagmar Enkelmann, „dass es in seinem Bundesland Brandenburg Armut gibt, und dass es offenkundig mehr Essensausgaben gibt in Berlin, hat er jetzt erst gesehen. Die Hälfte aller Sozialversicherungspflichtiger sind inzwischen prekäre Versicherungsnehmer, noch nie hat sich eine Koalition so wenig um den Osten geschert wie heute.“

Die Regierungskoalition habe „Deutschland immer mehr in militärische Operationen geführt, der Einsatz in Afghanistan ist „eindeutig ein Kriegseinsatz“, sagte Dagmar Enkelmann in der Presskonferenz, selbst „der Aufbau der Polizei und Sicherheitskräfte lässt zu wünschen übrig.“

Der erste Parlamentarische Geschäftsführer der Partei Bündnis 90/die Grünen Volker Beck, zitierte „nach 19 Sitzungswochen den Songtext: 1.000 mal berührt, 1.000 mal ist nichts passiert“, da wo er große Reformen erhoffte, habe die jetzige Regierung nicht die Probleme gelöst. Die Föderalismusreform greife nicht richtig, und die „Bundesregierung hat in der Welt bei der Außenpolitik versagt – wir haben eine zweifache Außenpolitik und daher keine Außenpolitik.“ Mit Blick nach links, wo seine Kollegin Dagmar Enkelmann im roten Jackett saß, sagte Volker Beck: „Wenn schon politische Lösungen zu einem Afghanistanwiederaufbau führen, dann muss das auch militärisch abgesichert werden.“ Die allgemeine Wirtschaftslage sehe Volker Beck (Bü90/Grüne) um 0,7 Prozent abgeschwächt, „es droht eine Rezession, doch die Koalition hat keinen wichtigen Beitrag dazu eingebracht, das zu verhindern.“

Der Grünenabgeordnete Volker Beck weiter: „Die Energieverbraucher sollten nicht subventioniert, sondern unterstützt werden, die Kosten zu senken.“ Er hält „nichts davon, die Pendlerpauschale wieder hereinzuholen.“ Er stimmt einer Erhöhung der Hartz-IV-Grundsicherungsbeiträge auf 420 Euro pro Monat und pro Bedarfsgemeinschaft zu. Damit war er am Ende seiner Eingangsrede doch wieder zu Gemeinsamkeiten mit der Partei Die Linke gekommen.

Der Bundestagsabgeordnete Jörg van Essen (FDP) betonte den Untersuchungsauftrag für den Ausschuss, „der hängt von der Kanzlerin ab.“ Der Parteivorsitzende der Bundes-FDP Dirk Niebel, „schrieb bereits einen Brief mit den offenen Fragen der Oppositionsfraktionen“ an die Regierungschefin, die sie dann beantworten können wird, sagte der FDP-Mann van Essen in Berlin.

Bei Spekulationen zu eventuellen Regierungsbildungen „reden wir über eine Ampelkoalition, nicht, weil ich nie mit den Linken eine gemeinsame Politik machen könnte, aber das aktuelle Programm reicht halt nicht“, stellt Volker Beck (Bü90/Grüne) klar. Zu Dagmar Enkelmann gewand sagte er: „Wenn Ihr Kritik habt, dann nützt es nicht, dass die soziale Gerechtigkeit mit teilweise verdreifachten Ausgaben bezahlt werden sollte. Man muss das bloß der Linken auch sagen.“ Gesagt hatte Beck zu seiner linken Oppositionskollegin Enkelmann ebenfalls, dass sie und ihre Partei nur im Kopf ausrechnen könnten, „wie hoch die Zahl der Sitze bei den nächsten Wahlen im Bundestag“ sein werden „und nicht interessiert, wie viele Hartz-IVler es gibt und wie es ihnen geht.“

Bundestagsabgeordnete Dagmar Enkelmann, wünscht sich, „dass die linken Finanzierungsvorschläge angehört“ werden. „Über 50 Prozent der Anträge wurden von der Linken zugestimmt“, im Gegensatz zu den Anträgen der Partei Die Linke: „Kein einziger ist von der Koalition zugestimmt worden.“ Jörg van Essen sagte dazu: „Wir haben das durchgerechnet, so geht es einfach nicht.“

Eine Ausweitung der Bundeswehrmandate wegen des Georgienkrieges sieht van Essen als wahrscheinlich. In Fragen der Asylkompromisse näherten sich alle drei Bundestagsoppositionsparteivertreter von FDP, Bü90/Grüne und Die Linke wieder an: „Deutschland hat sich blamiert auf EU-Ebene, die Regierung sollte den Flüchtlingen helfen, die in Not sind, das sind tatsächlich die christlich religiösen Iraker im Moment. Man darf sich nicht auf Zuwendungsgesetze alleine verlassen, da gebe ich der Kollegin Enkelmann recht“, sagte Volker Beck von den Grünen.

Als einen guten Koalitionspartner pries van Essen seine Partei, wie das „Koalitionsbeispiel von CDU/FDP in Mecklenburg-Vorpommern“ zeige. Auf einen Politikwechsel auf Bundesebene setzte Dagmar Enkelmann, sie will die Fragen nach den Völkerrechten und der Menschlichkeit mehr in den Vordergrund rücken, auch im Umgang mit den Abgeordneten und Ausschussmitgliedern des Bundestages, wobei „die Kollegen in den Oppositionsgremien ganz gut miteinander arbeiten“ würden. Die Debatte zum Mindestlohn im Bundestag „sind Erfolge der Linken“, sagte Enkelmann.

„Sie wissen, wer die PDS wählen will, kann in Bayern auch die CSU wählen“, nennt Volker Beck die Gemeinsamkeiten beim Thema Pendlerpauschale. Defizite für eine Zusammenarbeit mit der Linken, sieht er in der Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen. Er werfe der Partei Die Linke vor, bei Wahlen innerhalb der Partei „mal mit den Mitgliedern zu entscheiden, mal so.“ Er sehe da einen Mangel an Ernsthaftigkeit für die Durchsetzung der Ziele. Beck weiter: „Die Wähler sind ja nicht von der Linken gepachtet“, die Linke habe „Sitze im Kopf, nicht Programme.“

Die Oppositionsrechte seien unter der 16. Bundesregierung verbessert worden bestätigen alle drei Oppositionsvertreter, der FDP-Abgeordnete Jörg van Essen sagte, die Stärkung „der Oppositionsrechte sind in der Politik gemeinsame Interessen“, dazu gehöre auch der Bürgerausschuss, „da haben wir ähnliche Argumentationen.“ Bei der „Kontrolle der Regierung und mehr Transparenz haben wir schon gemeinsam etwas erreicht“, sagte die Abgeordnete der Partei Die Linke, Dagmar Enkelmann. Über die EU-Ratspräsidentschaft 2007 unter der Kanzlerin Angela Merkel sagte sie auf Anfrage von MedienModul: „Darüber haben wir auch gesprochen. Da ist viel verschenkt worden, beispielsweise, was die französischen Interessen“ betreffe. Die mangelnden politischen Auswirkungen der Dialogstrategie der Bundeskanzlerin Merkel auf Russland und Nato-Anwärter Georgien, sehe sie „nicht als Enttäuschung. Russland vertritt seine Interessen“ immer auch gleichzeitig gegenüber den US-Mächten und anderen Konfliktpartnern „wie mit Tschechien und so weiter.“ (
1.000 Tage große Koalition)

anderes Medium zum Thema

http://www.ftd.de/politik/deutschland/399590.html?nv=nl

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