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Mein zweiter Staatsbesuch (Teil 1.)

Mein zweiter Staatsbesuch

Berlin, 2008.

Vollbeschäftigt. Teil 1.

Von Franziska Sylla

Beim Staatsbesuch 2008 war ich am Samstag im Bundespresse- und Informationsamt (BPA) und in der Bundespressekonferenz (BPK). Geplant war für mich, Sonntag das Ministerium für Arbeit und Soziales und das Verteidigungsministerium zu besuchen, aber bei dem Regenwetter überzeugte mich nicht einmal der Shuttle-Service zum 10. Staatsbesuch, in andere Ministerien zu fahren, ich verbrachte den ganzen Tag in der BPK.

Von unserer Redaktion aus lief ich am Samstag, dem 23. August, wie üblich zu Fuß zum Schiffbauerdamm Nummer 40. Um kurz vor 12 Uhr betrat ich den Sitz des Vereins der Bundespressekonferenz und wurde hinter der automatischen Glastür herzlich von einer Dame im dunklen Businesskostüm begrüßt. Sie hatte Flyer in der Hand. Normalerweise steht hier ein Pförtner, der die Zutrittsberechtigungen prüft, ob wir Mitglied oder offizieller Gast der Bundespressekonferenz sind. Bin ich. Die Staatsgäste eines gerade angekommenen Shuttlebusses, drängten an mir vorbei ins Atrium, wo eine zweite Dame den hereinströmenden Personen zunickte oder einen Flyer in die Hand drückte. Bei meinem Blitzrundgang im Atrium wurde ich von der Promoterin oder Redakteurin der Deutschen Welle (DW) angesprochen. Sie lud mich zum gleich beginnenden Rundgang in den siebten Stock des Allianz-Gebäudes ein, wo das Berliner DW-Presshaus und Hauptstadtstudio seine Redakteure beschäftigt. „Gute Idee“, sagte ich, doch da war ich beim neunten Staatsbesuch im Vorjahr bereits, ich wollte neues erleben. Außerdem fühlte ich mich plötzlich nicht unbefangen in meiner Haut und hielt der Frau einen BPA-Ausweis unter die Nase: „Sie sprechen mich so freundlich an, dass ich mitkommen möchte, aber ich kenne die DW ja schon etwas“, sagte ich umständlich. „Sie sind trotzdem herzlich eingeladen, uns zu besuchen“, erwiderte die Frau im dunklen Hosenanzug mit den langen braunen Haaren, was ich hoffentlich charmant genug ablehnte. Mich zog es weiter. Ich sah den Stand des Tagespiegels und wollte wissen, ob diese Promotiondame auch eine Redakteurin ist. „Ja“, sagte die flotte, blonde Endvierzigerin, „ich schreibe auch für diese Zeitung.“ Um den Hals trug sie den BPA-Legislaturperiodenausweis, wie ich. Der wird üblicherweise für Berichterstatter der Bundespolitik beim Bundespresse- und Informationsamt der Regierung ausgestellt. Das ist kein Presseausweis, das ist eine Art zweiseitige Registrierungskarte mit Foto der hauptberuflichen Journalisten, die das Regierungshandeln beobachten und Nachrichten produzieren. Während des Zeitraums einer Legislaturperiode hinweg, hat der zugelassene Berichterstatter mit diesem Ausweis den erleichterten Zugang zu den meisten Terminen, Konferenzen und Veranstaltungen der Parlaments- und Regierungsbehörden.

Die traditionellen und wichtigsten überregionalen Deutschen Medien waren am 23. und 24. August im Atrium der BPK vertreten, darunter das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Die meisten anwesenden Parlamentsredakteure, die an diesem Wochenende Spiele, Zeitungsabos, Werbegeschenke und viele Informationen anboten, sind langjährige Mitglieder in dem Verein der Bundespressekonferenz, dessen Mitgliedsausweise bis 2008 sehr bescheiden aussahen. „Wir sind doch kein exklusiver Club“, warb ein Programmpunkt auf dem Plakat, mehr über die Geschichte der BPK zu erfahren. Das gab es auch am Sonntag, und so ging ich meiner Neugierde nach, beim BPA vorbei zu schauen. Dank Shuttleservice ein umsetzbares Vorhaben, bis zur Bürgerpressekonferenz um dreizehn Uhr mit Bundesarbeitsminister Olaf Scholz, wollte ich wieder zurück sein.

Samstags um kurz nach zwölf trat ich bei Nieselregen vor die BPK, Ausgang Reinhardtstraße. Prompt hielt der Shuttlebus der Südroute, die beim Kanzleramt startete. Bis zum Reichstagsufer Nummer 14, Haltestelle Bundespresseamt, würden keine drei Minuten vergehen. Neben dem freundlich lächelnden Fahrer stand ein Prospekthalter mit Routenplänen, auf denen sind übersichtlich die Nord- und Südroute grün und rot auswiesen, an den Haltepunkten stehen die Namen der jeweiligen Institute, die beim Programm zum Staatsbesuch mitmachten. Der Fahrer lenkte den Bus nach der Marshallbrücke links am Spreeufer entlang vorbei am ARD-Hauptstadtstudio, das Reichstagsgebäude liegt bei dieser Sicht rechts davon. Über gepflegte Pflastersteine geht es bis zum Presseamt der Bundesregierung. Knapp drei Minuten waren vorbei.

Der Himmel war grau verhangen, feinperliger Regen besprühte die Gäste auf dem Weg in den Glas- und Betonbau, von dem große, weiße Buchstaben strahlten, die zum Tag der offenen Tür einluden. Den barrierefreien Weg ins Gebäude kamen manche Besucher über den extra ausgelegten roten Teppich. Nur die Blasmusiker waren bei ihrem Bühnenauftritt mit einem Zeltdach vor Nässe geschützt und die Mitarbeiter im Bierwagen. Die Drehtüren und Seiteneingänge des BPA waren geöffnet, das Gebäude war voll mit Menschen. Rund um die ständigen Presse- und Informationssäle standen an diesem Wochenende Mitarbeiter des BPA bereit, die Staatsbürger anzusprechen, damit sie nicht hilflos an den Ständen vorbei gingen. Inmitten bunter Prospekte und Broschüren, Quizkarten, Foto- und Mosaikspielen bei Musikklängen, vermischt mit lautem Stimmengewirr wurde mir schon etwas schwindlig und so ließ ich mich gleich von einer BPA-Azubine vom Stand 24 anreden. Die, etwa 19-Jährige, ein Meter sechzig große Brünette fing meinen Blick auf und fragte, „warum interessieren Sie sich für die Ausbildungsstellen beim Bundespresseamt?“ „Ich interessiere mich für alles, was mit Ausbildungen zu tun hat“, antwortete ich und nahm ihr den Flyer aus der entgegengehaltenen Hand. Wissen schafft Wohlstand fiel mir dabei ein, wo war diese Ausstellung? Nummer zwölf laut Programmheft: „Die Bundesregierung fördert Innovationen – für neue Arbeitsplätze“, heißt es im Text dazu.

Eine freundliche Mitarbeiterin sprach auf dem Weg dahin die Besucher zum Mitmachen beim Meinungsspiel an. Es galt, das meist gewählte Plakatlogo der vergangenen zehn Staatsbesuche zu ermitteln. Ich drehte die Karte mit den zehn Abbildungen aus dem Pressehaus der Bundesregierung um, aber da stand nirgends, dass Journalisten nicht mitspielen dürften. Hinundhergerissen schaute ich dem kommunikativen Girl im Hosenanzug zu, und entschied mich, nicht mitzuspielen.

Wissen schafft Wohlstand, die Hightech-Ausstellung zum Anfassen wartete nebenan mit Laser- und Lichttechnologien auf Wissensdurstige, die es interaktiv lieben. Wie im Prospekt versprochen konnten sich die Besucher den Schriftzug zum Tag der offenen Tür mit einem Laser in eine Apfelschale brennen lassen. Ich sah zwei staunende Gesichter und einen schmunzelnden Mitarbeiter, der um sich blickte und sagte: „Ja, die Äpfel sind aus Deutschland“. Eine dritte Besucherin, direkt neben mir, fragte ihn von hinten. Der Ausstellungsraum zum Anfassen war proper gefüllt, Geduld war angesagt. Nicht nur der Operationssimulator war belegt, der Mann hinter dem Gerätaufbau erklärte gerade einem Schüler, wie die Chirurgen arbeiten würden. In der Mitte des Raumes saßen Oberschüler auf orangefarbenen Sitzen und spielten, ihre Blicke waren auf Bildschirme gebannt, in den Händen hatten sie eine elektronische Konsole.

Raus aus dem Saal ohne Fenster, stand ich im Gang des Presseamtes direkt vor einem Kunststofftresen mit Informationen zum Nationalen Integrationsplan (NI). Eine junge Mitarbeiterin mit Migrationshintergrund und ein vierzig Jahre alter Mann, stellten die begleitende Werbekampagne aus der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Bundespresseamtes vor. Der Mann faltete ein Plakat auseinander: „Gleichberechtigung ist keine Frage der Herkunft“, steht darauf. „Möchten Sie ein Plakat mitnehmen?“, fragte er. „Oder alle drei?“ Ich steckte die Plakate in meine Jute-Tasche, auf der steht: „Auf den Inhalt kommt es an“, ebenfalls aus dem Hause des BPA, Abteilung Öffentlichkeitsarbeit. Hinter den Beiden sah ich, wie sich ein Dutzend Besucher im Grünen Innenhof aufhielten, ging aber am Eingang zu diesem verlockenden Plätzchen vorbei.

Vorbei ging ich an der Tischreihe mit den Mal- und Bastelarbeiten für Kindergartenkinder und an Stand Nummer fünfzehn, dem Bürgerforum Soziale Marktwirtschaft. Hier wurde intensiv diskutiert, so schnappte ich mir ein kostenfreies Infoblatt und verschwand hinter einem kurzen Treppengang im Fotostudio des BPA, Gebäude geografisch Richtung Doroteenstraße. Zwei nervöse Männer warteten vor mir, ich studierte derweil, was es hier gab. Der jüngere Staatsbürger mit Migrationsintergrund verschwand kurz, der ältere stellte sich vor eine mit Scheinwerfern angestrahlte Werbewand. Der andere Mann kam mit einer Frau zurück, ich wartete, bis sie den dämmerigen Raum wieder verließen. Dann stellte ich mich vor die Wand, mein Gesicht wurde rasch warm, die Pupillen zogen sich zusammen. „Mehr die Schulter nach vorne“, sagte der Fotograf. „Nein, die andere. Lächeln.“ Rechts zu seinen Füßen saß ein Azubi, eine andere Mitarbeiterin durchsuchte eine Tasche. Ich musste plötzlich Lachen, für ein gutes Foto zu stark. Blitz, Blitz, Puff, fertig. „Wie im Fernsehen“, sagte der Fotograf, der mir irgendwoher bekannt vorkam. Grinste er auch? „Das Foto können Sie in Kürze im Foyer vor dem Theodor-Haubach-Saal bei der Fotoausgabe abholen“, hörte ich seine Stimme sagen, meine Augen nahmen überwiegend grüne, gelbe und blaue Lichtflecke wahr, die aus dem Dunkeln aufflackerten.

Auf dem Flur zurück, zog mich die endlos erscheinende Fotostrecke an, die entlang der Wände neben den Türen zu den Arbeitszimmern des BPA Stabes hängt. Sie bildet die Regierungssprecher sowie ihre Stellvertreter mit den Kanzlern und der Kanzlerin ab. Es war noch keine Regierungssprecherin dabei.

Mehr Fotos der BPA-Fotografen, auch zur aktuellen Regierungsgeschichte, waren im Theodor-Haubach-Saal zu bewundern. Im Foyer kam ich beim jüdischen Museum on Tour vorbei, es gab koschere Gummibärchen und viele Bücher. Die in Baumwolle und Leinen gekleidete Standmitarbeiterin hatte ein Band um den Kopf gebunden und war von vielen Interessierten umringt. Die Fotoausgabe war übrigens am Nebentisch. Geschätzte zwölf Fotos weiter holte ich also mein Bild ab, die Besucher, die vor mir fotografiert wurden, fand ich nicht wieder. Im hinteren Teil des Theodor-Haubach-Saals, den ich bis dato nur bei Briefings des BPA betrat, saßen drei Mitglieder der Jungredaktion Politik Orange auf einem Podium an Schreibtischen. Die Ventilatoren der Laptops der Redakteure und die Entfernung zu mir, bewirkten wohl, dass sie so laut mit mir redeten, dass sie mir in intensiver Erinnerung bleiben werden.

Zurück im Hauptgebäude der BPA, Ausgang Reichstagsufer, fand ich den Redaktionsraum, wo die Besucher Meldungen aus dem BPA vor laufender Kamera vorlasen. Das wollte ich ausprobieren. Der Raum war abgedunkelt, es waren mehr Kinder als Erwachsene darin, aber alle durften mitmachen und vorher üben, auch vor der Kamera. Die Nachrichtenleser nahmen anschließend die beste Version auf CD gebrannt mit nach Hause. Eine Mitarbeiterin händigte mir eine Din-A4-Seite mit einem Text aus. Den las ich dreimal im Halbdunkeln durch. Einmal Probelesen bei laufendem Mikrofon, dann hatten die Techniker Stimme und Lesegeschwindigkeit eingestellt und los ging es. Rechts und links standen die Europa- und die Deutschlandflagge hinter mir Spalier, wie bei einem echten Regierungsbeamten. Die Anwesenden blieben nur schemenhaft zu erkennen. Etwas ungewohnt fühlte sich das Kommunikationsexperiment schon an, mir war heiß geworden und ich zog nach der Aktion den Pullover aus. Für das erste Mal wirkte die Kritik des Nachrichtenregisseurs konstruktiv auf mich: „Sie haben ja improvisiert“. Tatsächlich war mir das Wort „informieren“ entwichen, ich sprach gleich vom „Anfassen“ der Hightechnologie in der Ausstellung Wissen schafft Wohlstand, für die der Text unter anderem warb. Das ich erst danach wieder zum Informieren schwenkte, „ist mir gar nicht aufgefallen“, bemerkte eine andere Mitarbeiterin. Mein Fazit, ich sollte mir vorstellen, beim nächsten Mal entspannter aufzutreten.

Es war kurz vor ein Uhr als ich beim Shuttle-Bus ankam, aber der machte keine Anstalten Loszufahren. Wieder im Fotografenschritt lief ich zum Schiffbauerdamm hinüber und saß ab 13.05 Uhr im berühmten Saal der Bundespressekonferenz in Berlin. Zum dritten Mal lud die BPK zur Bürgerpressekonferenz, die bestimmt einmal in Deutschland Legende werden wird. Die Staatsgäste sollen einmal im Jahr Einblicke erhalten, wie das Zusammenspiel zwischen Politik und Medien funktioniert. Bei den neu eingerichteten Bürgerkonferenzen sollen Bürger den geladenen Ministern und Ministerinnen Fragen stellen, wie es sonst nur den Hauptstadt-Korrespondenten vorbehalten ist.

„Etwas ministerlastig“, sagte ein Mitarbeiter aus dem Kanzleramt eine Woche vor dem Festtag über die Gästeliste zum Tag der offenen Tür der BPK. Am Samstag saßen dann Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) und einer der fünf ehrenamtlichen Vorstände der BPK, Peter Ehrlich, auf dem Podium. Peter Ehrlich schreibt unter anderem bei der Financial Times Deutschland (FTD). Über zweihundert Personen waren in den blauen, Ruhe und Ernst ausstrahlenden Raum gekommen. Die mutigsten Bürgerinnen und Bürger stellten ihre vorbereitet wirkenden Fragen an den Bundesarbeitsminister, der ihnen gut eine Stunde zur Verfügung stand. Scholz nutzte die Situation, dass keiner der gefürchteten BPK-Kollegen anwesend war und er damit den kritischen Hauptstadtjournalisten entging.

Wie sich der Bundesminister für Arbeit und Soziales die Senkung der Arbeitslosenversicherung vorstelle, wollte einer der Saalgäste wissen. „Das Ziel der Vollbeschäftigung ist da, wo ich hin will“, sagte Arbeitsminister Scholz, er müsse aber die Potentiale des Senkungsspielraums genau kalkulieren, „damit ich den Arbeitsloseversicherungsbeitrag nicht wieder anheben muss“.

„Im Herbst wollen wir“ fortsetzen mit der Politik der „wichtigen Arbeitsmarktreformen, die unter Schröder begannen, auch wenn es in Frankreich und in den USA schlechter läuft, wir haben eine boomende Wirtschaft“, sagte Scholz, die Agenda 2010 habe Deutschland sanieren geholfen. (LÄ 1.9.08, fs)

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