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Eventikone Putin gibt Gas ab

Eventikone Putin gibt Gas ab

Kommentar

Von Franziska Sylla

Berlin, 17./18.1.2009. Hoffnungsvoller Ohrenschmaus, dank Stababtausch. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte vergangenen Freitag, 16. Januar 2009 nicht nur „mit dem russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin über die gestoppten Gaslieferungen nach Westeuropa gesprochen“, wie es in einer Regierungsmitteilung heißt, sie brachte den ehemaligen russischen Präsidenten vor der Presse dazu, einen spannenden verbalen Stababtausch mit ihr zu inszenieren, der die Energieproblematik zwischen Russland, der Ukraine und der Europäischen Union (EU) deutlich erhellte und die Hoffnungen erneuerte, der Energiestreit ums Gas könnte zeitnäher in ruhige Geschäftsprozesse münden, die alle Beteiligten befriedeten. Merkel plädierte für eine Testphase, in der das Gas wieder nach Europa fließen sollte. Daran sollten sich die EU-Beobachter vor Ort beteiligen.

Der frühere Präsident Russlands war schon viele Male in Berlin bei der Bundeskanzlerin. Am Freitag mussten die Pressebetreuer des Kanzleramtes zwei Stuhlreihen heranschleppen, damit über hundert Pressefotografen, Journalisten und Chefredakteure geordnet Platz nehmen konnten. Viele blickten stehend auf Kanzlerin Angela Merkel und Wladimir Putin. Vielleicht hätte ein Dutzend Bildjournalisten auf Fotos verzichtet, wären die Bilder bei der militärischen Ehrung im Hof gelungen. Der Himmel war jedoch nachmittags mit dichten Wolken verhängt und es dunkelte bereits, als der russische Premier dort, statt um 16 Uhr, erst um zwanzig nach in einer schwarzen Limousine vorgefahren wurde.

Um 17.39 Uhr gaben Putin und Merkel ihre Statements ab, neue Einsichten erwarteten die Medienvertreter nicht, ein Verschieben der Machtverhältnisse erst recht nicht. Sie wurden überrascht: Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm im ersten Drittel der Presseunterrichtung Wladimir Putin den Stab aus der Hand, der holte ihn sich zwar wieder, konnte dann aber am eigenen Leib erleben, wie die Kanzlerin geschickt die Presseanfragen ausnutzte. Sie ließ Waldimir Putin die Situation aus seiner Sicht darstellen und rang ihm gleichzeitig Zugeständnisse ab, so dass dieser Pressetermin als rethorisches Event zweier Machtspieler der Weltpolitik in die Bücher politischer Kommunikation landen könnte.

Zwei Tage später, am Sonntag, „haben sich die Ukraine und Russland im Gasstreit geeinigt“, hieß es Sonntag mittag, 18. Januar, im Inforadio vom RBB. Am Montag wolle Russland die Gaslieferungen im vollen Umfange wieder herstellen und einen Vertrag gemeinsam mit den ukrainischen Vertretern unterschreiben (Inforadio). Die Ukraine, vertreten von Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, verpflichte sich im Gegenzug, die Preise für Gaskonsumenten den Weltmarktpreisen anzugleichen.

Die „komplizierte Situation ohne Gas, das ankommt“, sagte Angela Merkel im Kanzleramt am Freitag, 16.1.2009, könne mit Hilfe des gemeinsamen Weges der beteiligten Unternehmen „eine Testphase einzurichten“, beobachtbar von der Europäischen Union, gelöst werden. Putin sagte im Ergebnis, er sei Gesprächen gegenüber offen. Am Sonntag abend übertrug das öffentlich-rechtliche Fernsehen ARD den Presseauftritt des russischen und der ukrainischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin und Julia Timoschenko. Putin betonte, eine EU einbeziehende Energiepolitik herzustellen. (lä 19.1.2009, fs)



Pressestatements Merkel Wladimir Putin

Mitschrift Pressekonferenz am 16. Januar 2009


(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)
BK’IN DR. MERKEL: Meine Damen und Herren, für einen Freitag ist diese Pressebegegnung gut besucht!

Ich freue mich, dass wir heute die Möglichkeit hatten, mit dem russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin zu sprechen. Es ist sein erster Besuch in Berlin in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident.
Wir haben uns über die allgemeine wirtschaftliche Lage und insbesondere auch über die Wirkungen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Situation in unseren Ländern, in Deutschland wie in Russland, ausgetauscht, aber natürlich haben wir vor allen Dingen über das Thema der Gaslieferungen nach Westeuropa gesprochen. Es ist ja eine komplizierte Situation dadurch entstanden, dass bei uns kein Gas ankommt.

Heute hat es noch einmal Gespräche mit den Unternehmen gegeben, die russisches Gas in Deutschland und in Europa vertreiben, über die der Ministerpräsident selbst berichten wird. Ich habe mich mit diesen Unternehmen heute auch unterhalten, und ich glaube, es gibt einen Weg, gemeinsam mit den Unternehmen Gazprom und Naftogaz eine Testphase einzurichten und auch mithilfe der Beobachter, die jetzt sowohl in Russland als auch in der Ukraine vor Ort sind, Regime auszutesten, mit denen die Gaslieferung nach Westeuropa und natürlich auch auf den Balkan wieder möglich ist und gleichzeitig sicherzustellen, das das Gas, das Gazprom für Europa bereithält, nicht irgendwo in der Ukraine verschwindet.

Ich plädiere dafür, dass man diesen Weg der Testphase versucht, denn die Zeit drängt. Wir wissen, dass es auf dem Balkan Länder in einer schwierigen Situation gibt und dass sich auch die Slowakei in einer sehr schwierigen Situation befindet. Im Übrigen ist es ja auch für Gazprom eine Einnahmequelle, die möglichst schnell wieder erschlossen werden sollte. Deshalb hoffe ich, dass wir mit diesem Weg wieder in ein Regime hineinkommen, mit dem Europa wieder sein Gas bekommt.

Ich glaube, dass wir ansonsten noch viele Themen hätten besprechen können, und ich hoffe, dass wir auch wieder an einen Punkt kommen, an dem es möglich sein wird, noch andere Themen zu besprechen. Aber das ist heute das vordringliche Thema, und deshalb ist es auch gut, dass wir Gelegenheit hatten, darüber zu reden. Es handelt sich hierbei ja um einen Konflikt, der von Unternehmen gelöst werden muss, in den sich aber die Politik eingeschaltet hat, weil er natürlich eine politische Dimension hat. Ich bin sehr froh, dass die Unternehmen in Deutschland genauso wie Gaz de France und Eni die Bereitschaft zeigen, mit Gazprom Lösungen, die praktikabel sind, zu finden.

MP PUTIN: Vor allen Dingen möchte ich der Frau Bundeskanzlerin für die Einladung danken. Wir haben in der Tat Fragen von bilateralem Charakter erörtert, und wir haben auch über das Zusammenwirken von Russland und der Bundesrepublik Deutschland auf verschiedenen Gebieten gesprochen. Ich muss betonen, dass wir im Vorjahr eine Rekordschwelle des bilateralen Handels erreicht haben. Wir implementieren groß angelegte bilaterale und multilaterale Projekte im Energiebereich und auf verschiedenen anderen Gebieten, zum Beispiel im Maschinenbau und im Hightech-Bereich. Die Frau Bundeskanzlerin hat die Arbeit im Hightech-Bereich initiiert, zum Beispiel am Röntgen-Laser in Hamburg oder am Beschleunigungszentrum in Darmstadt. Das heißt, wir haben jede Menge zu besprechen.

Wir haben auch über die Lage unserer Volkswirtschaften gesprochen, die im Zuge der Weltfinanzkrise entstanden ist, und wir waren ebenfalls bemüht, diesbezüglich solche Optionen der Zusammenarbeit zu entwickeln, die auch unter den gegenwärtigen Bedingungen hilfreich für unsere Zusammenarbeit und deren weitere Aufstockung wären.
Wir haben den Fragen im Energiebereich, naturgemäß auch im Gasbereich, viel Aufmerksamkeit gewidmet, in bilateralen und multilateralen Formaten, auch das Problem der Blockade vor Augen habend, die in der Ukraine gegen den Transit des russischen Gases durch das ukrainische Territorium verhängt worden war.

Wie Sie wissen, habe ich heute in Berlin ein Treffen mit Vertretern von europäischen Großunternehmen gehabt, die Hauptkonsumenten und -käufer des russischen Gases sind. Ich glaube, dass wir jetzt zu interessanten Vereinbarungen gelangen können, die die Situation deblockieren können. Ich möchte aber noch einmal betonen: Russland hat ein außerordentlich großes Interesse daran, dass die heutige Situation einer Lösung zugeführt wird, und dies so bald wir möglich. Gazprom erleidet immense Verluste. Bis heute haben sie eine Höhe von 1,1 Milliarden Dollar erreicht.

Natürlich haben wir keinerlei Beweggründe, das Gas nicht an unsere Konsumenten zu liefern, die uns dieses Gas ja regelmäßig und zu marktwirtschaftlichen Preisen abnehmen. Wir müssen sicherstellen, dass der Transit erfolgt. Wir müssen diesbezüglich zu Vereinbarungen mit unseren ukrainischen Partnern gelangen und zwei Probleme trennen: das Problem der Gaslieferungen für die Ukraine, für den Eigenbedarf der Ukraine, und das Problem des Gastransits für europäische Konsumenten. Wir haben diesem Problem heute viel Zeit gewidmet. Gerade im Zuge unseres heutigen Gesprächs kamen neue Ideen, zusätzliche Vorschläge auf. Ich glaube, sie haben einen konstruktiven Charakter, und sie werden hilfreich sein, um sich vorwärts zu bewegen.

FRAGE: Ich habe eine Frage an Sie beide. Vielleicht können Sie näher erklären, wie diese Lösung, dieses Konsortium, aussehen kann. Geht es dabei um die Übernahme des ukrainischen Pipelinenetzes, oder geht es dabei um das technische Gas?

Eine weitere Frage an Sie, Frau Bundeskanzlerin. Wie beurteilen Sie die Rolle der EU und den entstandenen Imageschaden für Russland und die Ukraine? Was müssen Russland und die Ukraine tun, um sich wieder an die Europäische Union anzunähern?

BK’IN DR. MERKEL: Was den Vorschlag anbelangt, geht es jetzt nicht um ein Konsortium, sondern es geht um eine Phase, wie man wieder zur Lieferung nach Westeuropa kommen kann. Sie wissen, ich hatte mit dem Ministerpräsidenten den Vorschlag diskutiert, dass wir Beobachter entlang des Netzes aufstellen. Diese sind jetzt eingetroffen, und aus meiner Sicht müssen sie ihre Arbeit auch aufnehmen. Es hat dann Komplikationen gegeben, weil Russland praktisch nicht die gesamte Menge geliefert hat, die man normalerweise nach Westeuropa und in Richtung der Balkanländer liefert. Ich kann die technischen Details nicht bis ins Letzte einschätzen und nicht sagen, wie die verschiedenen Flussrichtungen beschaffen sind. Dazu braucht man Experten. Aber ich glaube, das Regime der Beobachter ist nach wie vor richtig und wichtig. Wenn man sich jetzt noch über die technischen Fragen des Gasflusses, innerukrainisch und in die Exportrichtungen, einig wird, dann kann man aus meiner Sicht sehr schnell wieder mit der Gaslieferung beginnen und ein Stück Vertrauen wiederherstellen.

Aus meiner Sicht ‑ ich habe das auch dem Ministerpräsidenten gesagt ‑ ist es natürlich eine schwierige Erfahrung, dass wir jetzt kein Gas bekommen. Wir haben durchaus auch kritische Gespräche mit der Ukraine über die Frage geführt, wer für das technische Gas verantwortlich ist. Aber ich habe auch immer wieder betont, dass es auch im Sinne von Gazprom und Russland ist, dass wir schnell wieder zu einer Belieferung kommen, weil ansonsten automatisch auch ein Vertrauensschaden eintritt.

Ich glaube, dass die Europäische Union sehr kohärent agiert. Natürlich sind die Länder unterschiedlich betroffen. Wenn ich an die Slowakei denke und wenn ich an Bulgarien denke, so sind das ganz andere Betroffenheiten. Wir haben auch versucht, uns gegenseitig zu helfen. Ich finde es sehr gut, dass die europäischen Unternehmen und auch die deutschen Unternehmen gerade in Serbien und auch in der Slowakei helfen.

Ich denke, dass wir jetzt schnell eine Lösung finden müssen, weil sich ansonsten nur Spannungen und Verspannungen aufbauen. Deshalb habe ich auch sehr dafür geworben und tue das auch in meinen Telefonaten mit der ukrainischen Seite, dass die bilateralen Gespräche zwischen Russland und der Ukraine jetzt schnell zu einem Ergebnis führen. Beide Themen hängen eigentlich nicht zusammen ‑ wir haben einen Anspruch auf das Gas, auch wenn es kein bilaterales Abkommen gibt ‑, aber faktisch, in der Realität, hängen sie eben doch zusammen. Deshalb wir die EU auch alles tun, was sie dazu beitragen kann, um die Verhandlungen, die zwischen Russland und der Ukraine geführt werden, zu beschleunigen.

MP PUTIN: Wie bekannt, war es uns im Vorjahr bedauerlicherweise nicht möglich, mit der Ukraine die Konditionen und die Preise unseres Gases für die ukrainischen Konsumenten einvernehmlich zu vereinbaren. Deswegen hat Gazprom ab dem 1. Januar dieses Jahres die Gaslieferungen für die ukrainischen Konsumenten ausgesetzt. Ich möchte betonen: nur für die ukrainischen Konsumenten.

Was die europäischen Konsumenten anbelangt, so haben wir das Gas weiterhin befördert, und zwar in vollem Umfang, also zu 100 Prozent. Aber bedauerlicherweise hat Gazprom zwar das Gas in das ukrainische Beförderungsnetz geliefert, aber die ukrainischen Partner haben faktisch damit begonnen, das Gas zu stehlen und aus dem Exportpipelinesystem der Ukraine abzuschöpfen. Das heißt, sie haben das Gas von euch, von den europäischen Konsumenten, gestohlen.

Gazprom hat kontinuierlich das Volumen der Transitgaslieferungen durch das ukrainische Territorium reduziert, entsprechend dem Volumen des durch die Ukraine gestohlenen Gases. Am 6. Januar hat die Ukraine den Transport des Gases in Richtung Balkan blockiert. Aber der Gasfluss nach Zentraleuropa ging am 6. Januar den ganzen Tag weiter.

Am 7. Januar in der Frühe hat die Ukraine auch die Gasbeförderung des russischen Gases in Richtung der zentraleuropäischen Staaten gesperrt. Gazprom hat im Laufe des gesamten 7. Januar sein gesamtes Gasbeförderungsnetz in Richtung Ukraine offen gehalten. Aber am Abend des 7. Januar haben wir verstanden, dass das Gas das ukrainische Territorium überhaupt nicht verlässt. Dann hat Gazprom seinen Hahn zugedreht.

Danach wurde auf Initiative von Frau Bundeskanzlerin Merkel eine Monitoringkommission gebildet. Ein diesbezügliches Dokument wurde auch von den ukrainischen Partnern unterschrieben. Am Montag dieser Woche haben wir unsererseits den Gasfluss durch das ukrainische Territorium in Richtung der europäischen Konsumenten eröffnet. Wir waren der Meinung, dass wir vorrangig die Bedürfnisse der Länder decken sollten, die am meisten gelitten haben, also der Balkanstaaten und der Slowakei. Deswegen haben wir den Antrag an die ukrainischen Partner gestellt, in Richtung Europa 67,6 Millionen Kubikmeter Gas für den Balkan und 22,2 Millionen Kubikmeter Gas für die Slowakei durchzupumpen.

Aber wir haben eine schriftliche Ablehnung dieses Antrags erhalten. Die Ukraine hat es also abgelehnt, dieses Gas nach Europa zu befördern. Man bezieht sich in der Ukraine auf technische Schwierigkeiten. Aber welche technischen Schwierigkeiten sind das denn? Es gibt zwei. Erstens sollte im Exportgas-Beförderungssystem der Ukraine für das Durchpumpen des Gases immer das Volumen von 140 Millionen Kubikmeter Gas bereitstehen. Aber es hat sich herausgestellt, dass dieses Gas gestohlen worden ist. Das ist natürlich absolut unzulässig für ein Transitland. Es gibt dieses Gas also nicht in der Ukraine. Darüber hinaus haben sie auch kein Gas, welches verbrannt werden sollte, in der Kompressorenstation, damit das Gas weiter in Richtung Europa durchgepumpt werden kann. Dafür braucht man täglich 21 Millionen Kubikmeter Gas.

Die ukrainischen Partner haben sich schriftlich ‑ das möchte ich betonen: schriftlich; wir haben solche Schreiben ‑ mit der Bitte an uns gewandt, dass dieses Volumen an Gas Ihnen ins Eigentum übergeben werden solle: 360 Millionen Kubikmeter Gas im Januar, 600 Millionen Kubikmeter Gas im Februar und 600 Millionen Kubikmeter im März. Rechnen Sie einmal nach, was das alles kostet. Wir haben uns an unsere wichtigsten westlichen Partner, E.ON Ruhrgas AG, Gaz de France, Eni, OMV, mit der Bitte gewandt, ein Konsortium zu bilden und die Risiken der Lieferung dieses technischen Gases in die Ukraine zu teilen. Gestern und heute, im Zuge der Gespräche mit unseren Partnern, habe ich es so verstanden, dass unsere Partner mit diesem Vorschlag einverstanden sind. Details müssen natürlich auf kooperativer Ebene unter den Unternehmen direkt noch besprochen werden. Ich glaube, dass dies auch erfolgen wird.

Wir wissen auch, dass in der Ukraine das gesamte Gasbeförderungssystem um­orientiert wurde. Die Ukraine befördert jetzt Gas für den Eigenbedarf aus den Erd­gaslagern an der Westgrenze der Ukraine. Die Ukraine behauptet, dass die Exportströme die Gaslieferungen für den internen Bedarf der Ukraine behinderten. Aber ich möchte Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dass dies zunächst einmal das Problem des Transitlandes ist. Sie haben ihr Gasbeförderungssystem zunichte gemacht, und sie müssen es selbst reparieren. Wir gehen aber davon aus, dass wir die Ukrainer in dieser schwierigen Lage auch unterstützen sollten. Heute habe ich in dem Gespräch mit der Frau Bundeskanzlerin vereinbart, dass es richtig und zweckmäßig wäre, eine Gruppe von internationalen Experten zu bilden, die entsprechend dem Protokoll, welches früher unterzeichnet wurde, den technischen Zustand des ukrainischen Gasbeförderungssystems prüfen können und müssen und die optimalen Gasströme für den Export nach Europa bestimmen sollen, damit einerseits der Export nach Europa sichergestellt werden kann, damit wir und unsere Konsumenten aber auch vor endlosem Diebstahl geschützt werden können. Ich glaube, dass ein solcher Mechanismus so bald wie möglich geschaffen werden kann. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit darauf richten, dass wir heute noch einmal einen Antrag bezüglich des Durchpumpens unseres Gases in den Balkan gestellt haben, und das wurde wieder von der ukrainischen Seite abgelehnt.

BK'IN DR. MERKEL: Ich will das nur ergänzen: Es ist natürlich wichtig, dass wir schnell zu einem Zustand kommen müssen, in dem nicht nur ein Land ‑ die Slowakei oder ein Land auf dem Balkan ‑ das Erdgas bekommt, sondern in dem das volle Volumen auch wieder nach Westeuropa transportiert wird. Zu diesem Zustand müssen wir schnell kommen; denn dadurch hat sich jetzt auch wieder eine Schwierigkeit entwickelt, die ich am Montag eigentlich nicht gesehen habe. Man hätte nämlich das ganze Gas nach Westeuropa bringen können, und dann hätten die Beobachter das überprüfen können. Wenn wir jetzt eine Lösung auf dieser Grundlage gefunden haben, dann soll es mir recht sein, dann muss sie aber schnell implementiert werden.

MP PUTIN: Ich möchte hinzufügen: Das ist eine absolut richtige Bemerkung der Frau Bundeskanzlerin. Gazprom spricht ja davon, dass die Ukraine alle technischen Möglichkeiten hat, das Gas durchzupumpen, und zwar in Richtung Balkan. Das ukrainische Staatsunternehmen behauptet, es gäbe kein solches System. Diese Streitigkeiten können endlos dauern. Deswegen wenden wir uns an unsere europäischen Partner (mit dem Vorschlag): Lasst uns eine Gruppe unabhängiger Experten bilden, diese Gruppe in die Ukraine entsenden und sie die optimalen Transitströme des Gases bestimmen, damit Diebstahl sozusagen nicht mehr möglich sein wird.

FRAGE: Ich habe eine Frage an beide: Wie, glauben Sie, steht es in dieser Lage aktuell um das Projekt Nord Stream?

Zweitens: Wird Deutschland bei dem Gipfeltreffen bezüglich der Gaslieferungen an Europa vertreten werden, und auf welcher Ebene?

BK'IN DR. MERKEL: An dem Projekt Nord Stream hat sich für uns gar nichts verändert. Wir wollen, dass das zügig gebaut wird. Es gibt Genehmigungsverfahren, die zu bewältigen sind und die durch die Antragsteller insbesondere auch im skandinavischen Bereich für den Fluss von Nord Stream notwendig sind. Politisch gibt es ein Bekenntnis der Bundesregierung zu diesem Projekt. Aber mit Sicherheit können wir nicht auf Nord Stream warten, bis wir wieder Gas bekommen; das ist, glaube ich, auch evident. Aber dieses Projekt befindet sich weiterhin in der Planung.

Zweitens, was den Gipfel anbelangt, haben wir uns innerhalb der Europäischen Union darüber abgestimmt, dass die Europäische Union morgen bei dem russischen Präsidenten durch die Kommission vertreten sein wird, durch Kommissar Piebalgs, soweit ich informiert bin, und den tschechischen Energieminister, also durch die Präsidentschaft. Wir haben unsere Positionen abgestimmt, und ich glaube, dass dort für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorgetragen werden kann, wie unsere Position ist und wie wir einen Beitrag dazu leisten können, dass dieses Problem jetzt überwunden wird.

MP PUTIN: Natürlich stellt sich im Zusammenhang mit der derzeitigen Krise das Problem der zusätzlichen Transportrouten für die russischen Energieträger nach Europa. Dieses Problem gewinnt an Aktualität. Aber ich möchte die Spannungen hier jetzt nicht sozusagen noch vergrößern und zusätzliche Hysterie wecken. Diese Projekte ‑ Nord Stream, South Stream ‑ sind gegen niemanden gerichtet. Sie sind gegen kein einziges Transitland gerichtet. Das sind zusätzliche Transportmöglichkeiten der Diversifizierung. Man braucht das, um zusätzliche Gaslieferungen an unsere europäischen Konsumenten zu ermöglichen. Aber im Lichte dieser Krise ist es ja ganz klar, dass es einen großen Bedarf für solche Projekte gibt.

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, der russische Ministerpräsident hat eben noch einmal dargelegt, dass Russland keine Schuld an der jetzigen Krise treffe, sondern dass die Ukraine die Durchleitung blockiert habe. Ist das eine Darstellung, die Sie so nachvollziehen können?

BK'IN DR. MERKEL: Ich habe eben schon gesagt, dass ich mir gewünscht hätte, dass sofort am Montag die volle Gasmenge nach Europa transportiert worden wäre, weil ich glaube, dass die Arbeit der Beobachter dann einfacher gewesen wäre. Wir konzentrieren uns jetzt darauf, die Dinge voranzubringen. Es ist sicherlich ein kom­pliziertes Problem, hinsichtlich dessen ich jetzt keine Schuldzuweisungen treffen will. Es ist aber auch selten bis kaum einmal der Fall, dass nur einer Schuld hat. Aber wichtig ist, dass wir die Dinge jetzt konstruktiv voranbringen, und ich hoffe, dass wir mit unserem heutigen Gespräch einen Weg gefunden haben, der uns weiterbringt.

MP PUTIN: Gestatten Sie es mir, die Antwort, die die Frau Bundeskanzlerin Ihnen gegeben hat, etwas zu erweitern. Natürlich ist es selten so, dass nur eine Seite schuldig ist. Aber wenn man über die Verantwortung spricht, so sind dafür ganz bestimmt nicht nur zwei Seiten verantwortlich. Ich glaube, die Position der EU stellt sowohl Russland als auch die Ukraine in eine Reihe. Faktisch gibt es eine Unterstützung für die Ukraine, die aber gegen ihre Transitverpflichtungen verstößt, die im Rahmen der Energiecharta übernommen worden sind, welche die Ukraine unterzeichnet und ratifiziert hat. Das heißt, die Ukraine ist unter allen Umständen verpflichtet, den Transit zu gewährleisten. Alles, was in den Vorjahren der Fall war, war nichts anderes als Erpressung, die mit dem Wunsch verbunden war, einen billigen Preis für die primäre Energiequelle und Wettbewerbsvorteile auf dem europäischen Markt für eigene Erzeugnisse zu bekommen. Das ist auf die Korruptionsschemata und die Zustände in der Ukraine zurückzuführen. Wir sind der Meinung, dass dieser Lage über kurz oder lang ein Ende bereitet werden sollte, einschließlich auch im Interesse des ukrainischen Volkes.

Wir hoffen, dass uns das auch gelingen wird; denn eine solche Sachlage, wie es sie jetzt gibt, in der man sagt "Entweder ihr gebt uns alles zu Spottpreisen frei, oder wir werden die Transitlieferungen des Gases nach Europa blockieren, und dann wird Europa euch unter Druck setzen", kann nicht mehr geduldet werden.

BK'IN DR. MERKEL: Ich will dann doch noch hinzufügen, dass wir als Mitgliedstaaten der Europäischen Union darauf vertrauen, dass wir unser Gas bekommen, und dass es deshalb notwendig ist, dass sowohl der Lieferant als auch das Transitland zu bestimmten Einigungen kommen. Das ist die Erwartung in den jeweiligen Situationen, und ich glaube, dass wir einen konstruktiven Weg einschlagen wollen, um aus diesen Schwierigkeiten heraus zu kommen. Ich glaube, dass es auch im russischen Interesse liegt, wenn in Westeuropa wieder Gas ankommt.

MP PUTIN (auf Deutsch): Jawohl!

FRAGE: Ich habe eine Frage an beide. Die Krise schlägt sich sowohl auf Russland als auch auf Deutschland nieder. In jedem Land ist die krisenhafte Entwicklung doch national geprägt. Welche Zukunft erwartet uns alle, wenn man den starken Eindruck der internationalen Finanzprobleme berücksichtigt, die jetzt mit dem Gasproblem zusammenkommen? Vielleicht sollte man gewisse Projekte drosseln. Glauben Sie nicht, dass das gemeinsame Interesse der russischen und deutschen Unternehmungen zur Zusammenarbeit neuerdings reduziert worden ist?

BK'IN DR. MERKEL: Ich würde sagen, das Gegenteil ist der Fall. Wir haben vielfältige Handelsbeziehungen mit Russland. Der Premierminister hat über bestimmte Hochtechnologieprojekte gesprochen. Wir haben eine gute Basis für die Kooperation, und ich rate dringend davon ab, dass man in einer Krisensituation nur noch auf sich selbst zurückfällt. Wir wissen aus vergangenen Krisen: Protektionismus ist das Schwierigste. Natürlich muss jeder auch überlegen, wie er seine eigene Produktion in Gang hält. Aber ich glaube, keiner von beiden, weder Deutschland noch Russland, würde davon profitieren, wenn wir jetzt sagen würden "Wir reduzieren per se unsere Projekte", sondern jetzt ist die Zeit, in der man auch auf guten Beziehungen aufbauen kann. Ich weiß aus vielen Gesprächen mit deutschen Unternehmen, dass sie auch die Absicht haben, genau diesen Kurs zu fahren, und ich begrüße das als Bundeskanzlerin ausdrücklich.

MP PUTIN: Ich bin voll und ganz einverstanden. Vor allen Dingen möchte ich noch einmal etwas betonen: Im Vorjahr hatten wir gerade einen Rekordwert des Handelsaustausches erreicht, nämlich 60 Milliarden Dollar. Wir implementieren Großprojekte. Es gibt Direktinvestitionen in Russland. Sie werden in Russland mit bis zu 13 Milliarden oder sogar mit bis zu 26 Milliarden Euro kalkuliert. Wir diversifizieren unsere Wirtschaftszusammenarbeit, zum Beispiel auch im Energiebereich. Dort haben wir multilaterale Großprojekte. Das bezieht sich nicht nur auf Nord Stream, sondern auch auf andere Projekte.

Bitte vergessen Sie nicht, dass zum Beispiel europäische und auch deutsche Unternehmen sehr viel Geld in die Stromwirtschaft Russlands investiert haben. Übrigens demonstrieren wir hierbei sehr große Offenheit. Wir haben es unseren ausländischen Partnern gegenüber zugelassen, in die Herzstücke unserer Energiewirtschaft (zu investieren), und zwar zu sehr großen Anteilen. Wir kommen als Land, welches diese Investitionen aufgenommen hat, all unseren Verpflichtungen nach, trotz der Finanzkrise und trotz der Weltwirtschaftskrise. Wir tun alles, um ausländische Investitionen in Russland zu fördern und zu unterstützen. Wir erweitern unsere Zusammenarbeit im Hightech-Bereich und im Transportbereich. Gerade unlängst war ich in St. Petersburg bei der Präsentation des neuen Hochgeschwindigkeitszuges, den die russische Eisenbahn bei Siemens eingekauft hat. Das sind Geschäfte mit einem Umfang von vielen Milliarden Dollar und Euro. Ich möchte allen Vertretern der russischen und deutschen Presse in Erinnerung rufen, dass durch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Deutschland jetzt 700.000 Arbeitsplätze in Deutschland finanziert werden. Das kostet doch etwas. Ich bin der Meinung, dass unsere Wirtschaften einander am besten ergänzen, um unsere effiziente Entwicklung auch in Zukunft zu gewährleisten.

BK'IN DR. MERKEL: Ich bedanke mich herzlich!

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