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Andrea Ypsilanti (SPD), die Ungeduldige?

Jedem Ende wohnt ein Neuanfang inne.

Signale für den Bundestag?

Berlin, 4. 10./4./8. 11.2008

Von Franziska Sylla

Ypsilanti, die Ungeduldige? Am 27. Januar 2008 sagte Andrea Ypsilanti nach dem fulminanten Landeswahlkampf und der Abwahl der christlich demokratischen Koch-Regierung: "Die Sozialdemokratie ist wieder da". Mit Ampel, mit großer Koalition, oder mit dem Wortbruch, sich mit der Partei Die Linke zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen? Zumindest mit einer zehnmonatigen, arbeitsaufwendigen Übergangsregierung stets unter der Auflage, für jede Parlamentsentscheidung eine Mehrheit zu finden, "was ja auch klappte", so Dagmar Metzger, die der SPD-Chefin bereits im März 2008 die Wahl zur Landeschefin vermasselte. Am 3. November hatten drei weitere SPD-Landesmitglieder einen schweren Gewissenskonflikt und verweigerten der SPD-Chefin Andrea Ypsilanti, einen Tag vor der Wahl, die Stimmen zur Ministerpräsidentin mit Hilfe der Partei Die Linke. Es kam zum Eklat, Sondersitzungen der SPD-Parteispitze wurden eilig einberufen, Franz Müntefering bezog Stellung.

Am 3. Oktober 2008 war Hessens Übergangsregierung noch ein spannender Nebenschauplatz: Die wortbrüchig gewordene Andrea Ypsilanti wollte die Regierungspläne einer linksintegrierten Koalition für „die symbolische Bedeutung der Themen" in Stein gehauen wissen: "Wir sind der politische Anwalt der sozialen Gerechtigkeiten. Unsere Politik machen wir nicht als Selbstzeck, sondern zum Wohle der Menschen in Hessen“. Ypsilanti kam protokollartig auf den Anfang des Jahres zu sprechen. An dem das neue Hessen beginnen sollte.

Erfolgreich habe die Hessen-SPD die CDU-Regierung abgelöst: „Die Zeit in Hessen ist reif“, sagte Ypsilanti. Aus einer „aussichtslosen Situation haben die Sozialdemokraten die CDU in die Schranken gewiesen. Mit Bildungspolitik, die zukunftweisend ist und einem glaubwürdigen Einsatz für Gerechtigkeit in diesem Land. Auch auf dem Bundeswege werden wir so Wahlerfolge erringen“.

Die Worte der Hessischen Newcomerin schmecken seit dem 3. November, wie liegen gelassene Schokolade nach sechs Monaten, dabei waren Ypsilantis Frühjahrsfolge ganz nett. Die von ihr beworbene parlamentarische Demokratie, die Wählermehrheit zu gewinnen, brachte Ypsilanti selbst aber innerhalb der vergangenen zehn Monate nicht zum Wunschergebnis: Diese Mehrheiten als Ministerpräsidentin von Hessen hinter sich zu vereinen.

Seit 6. November ist klar, es wird Neuwahlen geben in Hessen. Der Landtag wird am 19. November aufgelöst und am 18. Januar 2009 könnte die Wahl stattfinden. Ypsilanti wird sich nicht mehr als Ministerpräsidentin bewerben, aber den Chefsessel der Landes-Partei behalten wollen. Sie hielt durch: Die endlos anmutenden Gespräche und die feurigen Reden vor der Presse. Zeit zum Nachdenken war nicht. Dann, trotz praktischer Wahlproben und Abstimmungen innerhalb der Landespartei, verweigerten ihr im letzten Moment neben Dagmar Metzger, die Parteimitglieder Sielke Tesch, Jürgen Walter und Carmen Everts die Gefolgschaft. Einen Tag vor der Ministerpräsidentschaftswahl. Ypsilanti hatte keine Art einer regierungsnotwendigen Vertrauensbasis geschaffen, aber sie hatte es geschafft, Kritikern Mut zu machen, „nein“ zu sagen.

Das wäre Franz Müntefering, dem Bundes-SPD-Vater, bestimmt nicht passiert, aber Hessen ist nicht Deutschland und – Hessen ging auch nicht unter, sondern kommuniziert jetzt transparenter. Das ist doch demokratisch gewollt?

„Zum Unterschied der CDU/CSU“, habe die SPD-Spitze ihre internen Gespräche auch intern besprochen, weit entfernt von dem politischen Gebaren der CDU, warb Andrea Ypsilanti noch am 3. Oktober: „Wir haben keine Schaufensterpolitik betrieben“. Laut der vier Abtrünnigen, habe Ypsilanti eben gerade intern die kritischen Stimmen ignoriert, so dass sich die Abgeordneten bis zur Gänze mit dem partei- und dem eigenen Gewissen so in die Haare bekamen, dass sie das Handtuch werfen mussten, um ihre Einwände konsequent zu markieren: So geht das mit uns nicht.

Gleich bei der Weichenstellung im März 2008, hätte Ypsilanti sensibler mit der Partei in der Willensbildung umgehen müssen, hieß es am 3. November aus der SPD-Parteispitze in Berlin. Das sei bei ihr jetzt angekommen.

Andrea Ypsilanti war dieses Jahr eine der mutigsten Politikerinnen der Sozialdemokraten. Kämpferisch zeigte sie sich, wenn sie die CDU kritisierte: Die ignorieren die verlorene Wahl und müssten eigentlich zurücktreten. Kein Wunder, bluffte sie, „wer eine ungerechte Arbeitnehmerpolitik vertritt, der muss uns Sozialdemokraten nichts über Moral erzählen“. Die CDU habe in sechs Monaten nichts dazugelernt und zwinkere Ypsilanti für eine Mehrheitsregierung zu, obwohl diese dem Versuch nicht widerstand, die ehemaligen Stasimitarbeiter einzuverleiben.

Ypsilanti rühmte die hessische SPD, als erster Landesverband den Mindestlohn gewollt zu haben und der „Manie der Privatisierung“ etwas entgegen zu setzen. Die neoliberale Ideologie sei nicht gesellschaftsfähig. Die Linke halte sich an die Grundregeln, daher dürfe man die potentiellen Partner nicht über die Medien in Details verstricken, sagte Ypsilanti zu ihrer Entscheidung, es mit der Partei Die Linke zu versuchen.

Verhandelt habe sie „in direkten Gesprächen, nicht in den Medien“. Das Wahlprogramm sei ein Gesamtprojekt. Der Politikwechsel soll danach sichtbar werden, zum Beispiel das Frankfurter Flughafenausbauprogramm. Die Region Nordhessen dürfe nicht zurück stehen: „Es gibt kein Hessenland erster und zweiter Klasse“. Die hessische SPD vertrete alle hessische Regionen und bekam am 4. November 2008 doch nicht alle unter einen Hut. Auch wenn sie in den Fragen der Energie und der Bildung sehr ambitionierte Vorgehen plane und sich Experten an den Tisch hole. Bei der hessischen Bildungspolitik möchte die SPD die G8, Gymnasien mit acht statt neun Stufen bis zum Abitur, abschaffen und die Ganztagsschulen in den Vordergrund rücken.

Franz Müntefering zum Ypsilanti-Boykott

Berlin, 3. November 2008. Sonderpressekonferenz zum hessischen Vor-der-Wahl-Boykott, 14.15 Uhr, im Willy-Brandt-Haus. Franz Müntefering steht den Hauptstadtjournalisten im Foyer der SPD-Parteizentrale Rede und Antwort. Betroffen war man im SPD-Vorstand. Man habe weit über den „fulminanten Wahlkampf“ hinaus die Hoffnung gehabt, Ypsilantis Weg führt ins Ministerpräsidentenamt. Abstimmungen über das Koalitionsprogramm habe es gegeben, sagte Franz Müntefering, da stimmten bei Probabstimmungen alle für Ypsilanti, „bis auf zwei SPD-lerinnen, darunter die Metzger“.

Müntefering finde es „ist besser, im letzten Augenblick, als heimlich dagegen zu stimmen“, aber das entziehe den Politikern „des Hessischen Landtages nicht die damit verbundene Verantwortung“, was laut Medienberichten den vier Abweichlern durchaus bewusst gewesen sein soll. „Die Bundespartei muss versuchen zu helfen, auch Ratschlag zu geben“. Er stellt klar, diese Ergebnisse haben keine Auswirkungen auf die Bundestagswahlen 2009. „Es wird eine Zusammenarbeit mit der Partei die Linke auf Bundesebene nicht geben, definitiv nicht“.

Es bleibe die gemeinsame Aufgabe, dass „die SPD sich schnell sortiere und die besten Wege sucht“. Die Gespräche zur Begrenzung der Erbschaftssteuer finden „heute noch im Bundeskanzleramt statt“. Auf die Frage, ob „Ausschlüsse der abtrünnig gewordenen, charakterlosen Menschen“, wie einige Stimmen sagen, geplant seien und was Franz Müntefering bei solchen Aussagen empfinde, was er raten würde oder wie er damit umgehen würde, sagte er: „Da gibt es Parteiverfahren. Das sind alles noch gewählte Abgeordnete. Es kann“ durchaus „eine weitere Arbeitsebene geben, so bestimmend das auch für die Partei ist, es ist dafür zu sorgen, dass eine handlungsfähige Regierung entsteht“.

Vom Verantwortungsrahmen eines hessischen Landesabgeordneten aus, „könne man schon ein Stückchen vorher sehen“, jetzt müsse „die Diskussionsstruktur wieder gefunden werden“. Die positiven Abstimmungen vorher irritierten, auch unter vier Augengesprächen habe man „immer bis dahin die Gewissheit vermittelt bekommen“, gehe der Weg weiter. „Ich rede nicht vom Komplott, doch da war wohl „ein verantwortliches Steuern nicht möglich gewesen. Das müssen die Abgeordneten“ jetzt unter sich ausmachen, dabei sollten „die Reaktionsmöglichkeiten der anderen offen“ zu gelassen werden. Müntefering bemängelte, dass „die Kollegen erst 24 Stunden vor dem Tag X“ mit der Sprache rausrückten, „da hätte man doch früher mit seinem Gewissen im Reinen sein müssen“.

Was war mit dem Wahlversprechen? „Das Wahlversprechen ist nicht gleich mit dem Regierungsprogramm“, wiederholte Franz Müntefering seine Meinung. „Wenn man nach einer Wahl nicht alleine regieren kann, dann darf ich mir doch nicht vorwerfen lassen, dass ich als Regierungspartei durch eine Koalitionsbildung mit einem Koalitionsprogramm“ regieren müsse, mit dem er keinen Wahlkampf geführt hatte.

Die hessische Landespartei hatte 24 Stunden vor Schluss gesagt, jetzt zähle das Gewissen, das fand Münte „seltsam und nicht glaubwürdig. Wenn man in Gewissensnöten ist, dann macht sich das schon früher bemerkbar. Demokratie sollte die Streitkultur richtig und rechtzeitig zu Gewissenentscheidungen“ führen, zum „Ja oder Nein sagen können“.

Von Schnellschüssen für eine Neuwahl riet Müntefering am 3. November ab. Er empfahl, genau abzuwägen. Entscheidend sei für Müntefering, der Fall solle "nicht am Neuaufbau der hessischen Landesregierung“ hindern. Er habe den Mut bei Ypsilanti gesehen, „es mit einer knappen Mehrheit zu versuchen“. Es habe immer mal knappe Regierungen gegeben. „Hauptsache, es findet sich eine Mehrheit. Ypsilantis Wahlerfolg war erfolgreich im Sinne eines Politikwechsels in Hessen“. Müntefering habe „nicht das Gefühl, dass man sie angucken müsste, für das, was da heute passiert ist. „Sie hat viel riskiert, das weiß sie und damit geht sie ganz rational um.“
Er habe keine Beweise, ob es sich um eine Verschwörung handele. Als Landesvorsitzende und Präsidiumsmitglied habe Ypsilanti Entscheidungskraft, „bleibt im Boot, ob sie die Politik weiter gestaltet, wird sich zeigen.“

Eine Regierung ohne Koch oder „mit Koch war nicht eine Idee von uns. Koch nicht zu wählen, das ist ja nicht falsch“, sagte Müntefering im Rahmen der Pressekonferenz zum SPD-Ministerpräsidentenboykott am 3. November in Berlin. Die Situation des Fünf-Parteiensystems sei gegeben, die Wähler hatten „Koch nicht gewählt, und die Minderheitsregierung auf den Plan gerufen“. Nachmittags traf sich der Landesvorstand im hessischen Wiesbaden.

Am 8. November 2008 stand fest, die hessische Regierung hat sich um alle Lösungen, eine stabile Regierung einzurichten, gebracht. Dabei ist es nicht so, dass sie nicht regierungstauglich wären, es kann mit einem geschäftsführenden Ministerpräsidenten, und einer jeweiligen Entscheidung der Mehrheiten durchaus regiert werden, was ja auch getan worden sein soll seit Konstituierung der Regierung. Ob aus Personalkämpfen oder aus dem mangelnden Wissen heraus, weil sie neuerdings in der Situation einer Übergangsregierung arbeiten, die Brücke der Kommunikation und der konstruktiven Konsultationen ist den Landespolitikern in Hessen noch nicht gelungen.

(Text: fs mit phoenix/Tagesspiegel/Bild/ Fotos: ms-unger.de, LÄ10.11.2008, fs)

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